Vom Licht zur Form
Der Malprozess wird bei Ute Wöllmann durch die Einbettung von pflanzlichen Formen in einem weichen, duftigen, lichtdurchlässigen Farbbett vorangetrieben. Ihre in satten Farbschichten strotzenden Leinwände bearbeitet sie in sanften Helligkeitsstufen, deren Skala von strahlendem Gelb, Apricot und Grau bis Beige reicht. Der Ausgangspunkt ihres zeichnerischen und malerischen Prozesses ist die Beschäftigung mit vegetativen Elementen der Natur, wie Pflanzenschoten, Samengehäusen oder -kapseln, die teils geöffnet, gebrochen oder aufgeplatzt ihr kostbares Innenleben offenbaren. Das Geheimnis ihrer strukturellen Durchdringung der Bildflache liegt in den Möglichkeiten der Verwandlung. Die Form wird mittels Farbe flächig ausgeleuchtet und erhält eine stumpfe, teils vernarbte, schrundige Malhaut. Ihre behutsamen Untersuchungen der plastischen Präsenz sind Vorwand für das Gestikulieren mit Farbe. Ute Wöllmann will keinesfalls Formen sezieren, freilegen oder zerschneiden, sondern ihr Ganzes bewahren, um ihnen ein eigenes Biotop zu schaffen. Aus der Fülle der vegetativen Variationen sucht sie bauchige bis schmale, immer aber reduzierte Ordnungen aus, die sie jeweils in einem eigenen “Farbklima“ ansiedelt. Wie Versteinerungen tragen die abstrahierten Schoten und Kapseln fein ziselierte Ritzungen und Spuren, die unter den bis zu zwanzig Schichten des Farbauftrags einen fast organischen Prozeß ihres Entstehens veranschaulichen. Diese Metamorphosen der Oberfläche zeugen von einer Schicht um Schicht, Malhaut um Malhaut wachsenden Organik. Doch die Materialität der Farbe trifft immer wieder auf atmosphärische Leichtigkeit der Lichteffekte. Diffus statt schlaglichthaft, wie von Ferne schimmernd bahnt sich das warme Leuchten Bahn durch die Farbe und flutet gleichmäßig ins Bild. Von besonderer Bedeutung ist die diffuse Lichtsetzung in Ute Wöllmanns Bildern, sie läßt Farbströme zu glimmenden bis leuchtenden Nebeln werden, die die Pflanzenformen atmosphärisch aufladen. Dabei arbeitet sie mit einer stringenten Gleichmäßigkeit, verzichtet auf impressionistisches Farbenflimmern, löst die Dinge aber trotzdem von ihren Eigenschaften des Gewichtes, läßt ihnen aber ihre gewisse Dichte und Festigkeit. Die Körperlichkeit der Formen erhält allein durch den diffusen bis satten Hintergrund etwas im Raum Schwebendes. Die Flüchtigkeit von luftiger, sonnendurchfluteter Atmosphäre wird bei Ute Wöllmann zur Selbstverständlichkeit der Fläche.Verblüffend ist die stille, schweigende Massivität der Form in den großen Leinwandformaten, die in ihren Papierarbeiten zugunsten schwebender Leichtigkeit aufgebrochen wird. Eine Ausnahme ist die Serie ihrer Radierungen, die Volumen durch Farbkontraste schafft und mit extremen Bildanschnitten arbeitet. So nimmt jede einzelne Form, jedes Blatt, jede Schote eine wesentliche Funktion im Bildganzen ein und ist in seiner Korrespondenz, Abfolge und Entwicklung ein selbstverständlicher Teil des Ganzen.
Natur als Kompositionsprinzip
Ute Wöllmann verzichtet in ihren Bildkompositionen auf dominante Mittelpunkte und füllt den Bildraum mit hineinströmenden Formen. So folgt jede Komposition den Grundbedingungen von Leben, Wachstum und Bewegung gleichsam von selbst und ohne hierarchische Ordnung. Malerei als schöpferischer Prozeß belebt die Dinge nach ihrer eigenen Ordnung und nicht nach der Natur. Das Abbildhafte weicht einer meditativen Gelassenheit und Versenkung nach eigenen künstlerischen Gesetzen. Ohne räumliche Prinzipien entstehen Ute Wöllmanns Bilder in extremer Aufsicht und gleichsam wie durch ein riesiges Mikroskop. Ute Wöllmanns Bilder sind Erlebniswelten, die virtuos das diffuse Auftauchen und Verschwinden von Erinnerungen an Dinge zelebrieren ohne ihre tatsächliche Präsenz zu leugnen. Der Fundus der Natur wird somit zum Gedächtnis des Künstlers.
Christina Wendenburg, Februar 1999