Rede zur Ausstellungseröffnung in der Kreissparkasse Ravensburg am 16.05.2011von Andrea Dreher M.A.

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte Sie alle bitten, kurz die Augen zu schließen. Das mag angesichts einer Ausstellungseröffnung seltsam anmuten, aber Werke, die durch Verse von Ingeborg Bachmann inspiriert sind, erfordern unsere höchste Sensibilität und Konzentration. „Schattenfrüchte fallen von den Wänden, | Mondlicht tüncht das Haus, und Asche erkalteter Krater trägt der Meerwind herein.“ […] „Lieder von einer Insel“ heißt dieses Gedicht, dessen ersten Vers die in Berlin lebende Malerin Ute Wöllmann zum Titel ihrer Ravensburger Ausstellung wählte.

Die Künstlerin präsentiert uns aktuelle „Bilder ihrer Insel“ und bekennt sich dabei gleich zu zwei großen alten Lieben: die eine gilt dem Aquarell und die andere den Gedichten Ingeborg Bachmanns (1926-1973). Ute Wöllmann ist gebürtige Ravensburgerin, hat am Welfengymnasium Abitur gemacht und im Anschluss an die Schule zwischen einer Zukunft als Malerin oder als Schriftstellerin gehadert. Denn ihre Liebe zur Literatur war groß, insbesondere zur Lyrik und so entdeckte sie schon als junge Erwachsene die Gedichte von Ingeborg Bachmann, die sie seither begleiten.

Doch Ute Wöllmann studierte Malerei, zunächst in Stuttgart und später in Berlin als Meisterschülerin bei Professor Georg Baselitz, weil sie von Anfang an die Sinnlichkeit des Malens reizte – eine Sinnlichkeit, deren Reiz sie bis heute begleitet. So nimmt es nicht Wunder, dass Wöllmanns Motivwelt seit Jahren kaum variiert. Vor zehn Jahren betitelte sie eine Ausstellung in der  Kreissparkasse in Wangen „Botanische Elemente“ – botanische Elemente sehen wir auch hier, zehn Jahre später, dennoch ist seither viel geschehen. Die Natur sendet immer noch den Schlüsselreiz für die Entstehung sämtlicher Bilder, aber das Motiv selbst rückt zunehmend in den Hintergrund.

„Ute Wöllmann arbeitet abstrakt, und obwohl Landschaft oder präziser die Landschaft der Pflanzen den Ausgangspunkt markiert, zeigt sie uns eine virtuos farbenprächtige Malerei, die vielleicht als Abstraktion des Biologischen, des Mikro- und Makroskopischen bezeichnet werden kann“, schreibt Beatrice Ellen Stammer im aktuellen Katalog. Die Pflanzenprotokolle früherer Arbeiten lösen sich sichtbar vom naturalistischen Bezug. Die Morphologie einer Pflanze, eines Blattes oder gebündelter Halme am Schilfrand eines Teichufers verwandeln sich in Bildzitate. Die Wirklichkeit dieser Bilder liegt nicht mehr in deren Gegenständlichkeit, sondern in dem Rhythmus, den sie in der Künstlerin auslösen und den diese in und auf das Bild überträgt. In der Begegnung und gegenseitiger Ergänzung von Sichtbarem und Unsichtbarem, von Ungeformtem und Geformtem liegt das Wesen der Malerei, denn nie sind die Dinge wie sie auf den ersten Blick scheinen, auch nicht in der Kunst.

Es sind Ingeborg Bachmanns Bildmetaphern – diese Sprachbilder – die im neuen Werkzyklus von Ute Wöllmann eine dynamisierende Kraft entfalten und in der Begegnung von Wort und Bild eine symbiotische Einheit bilden.

„Schattenfrüchte fallen von den Wänden“ ist das großformatige Aquarell aus Chinapapier betitelt, das an der Stirnwand dieser Ausstellung hängt. Der flüchtige Charakter der Schattenfrüchte findet sich formal in den lautlos fallenden roten und blauen Punkten, die über dieses Querformat verteilt sind. Inspiriert von kalligraphischen Großformaten chinesischer Künstler, welche Ute Wöllmann letztes Jahr während eines Chinaaufenthaltes im Original betrachten konnte, kaufte sich die Künstlerin einen großen Kalligraphiepinsel und eine Rolle chinesisches Papier. Für die chinesische Malerei gelten andere Regeln, das spürte auch Ute Wöllmann in ihrem Berliner Atelier. Zunächst hat sie ihren Pinsel mit einem langen Bambusstock verlängert, danach das
hauchdünne Papier auf den Boden gelegt und ihre Farben in extra großen Töpfen angerührt.

„Wenn man den Pinsel in die Hand nimmt, dann muss man sein Sehen zurücknehmen, das Hören umkehren, alle Gedanken abtun und sich auf die spirituelle Wirklichkeit konzentrieren. Wenn der Geist still und der Atem harmonisch ist, dann wird das Werk ins Allerfeinste eindringen“, so die Worte des taoistischen Kalligraphen und Malers Yu Shih-nan aus dem 7. Jh. n. Chr.
Im Gespräch mit Ute Wöllmann wird deutlich, wie groß ihre Pinselleidenschaft seit jeher ist. Den Kauf ihres chinesischen Pinsels beschrieb sie mir mit leuchtenden Augen und die Arbeit damit als große Herausforderung. Von Paul Klee wissen wir, dass er seinen Pinseln und Stiften sogar Namen gegeben hat, so hießen sie z.B. Chrüttli, Nero, Rigoletto oder Robert der Teufel. Wöllmanns Pinsel haben zwar keine Namen, aber es verbindet die Künstlerin tatsächlich eine sehr persönliche Beziehung zu ihren Malinstrumenten. Mit ihren Pinseln malt, schabt und kratzt sie im Bild. Anhand der Pinselspuren können wir ihre einzelnen Handbewegungen im Bild nachvollziehen.

In den vergangenen zehn Jahren ist im Leben von Ute Wöllmann viel geschehen. Aus der Erfahrung ihrer langjährigen Dozententätigkeit an der Freien Kunstschule Berlin hat sie den Schritt in die Selbständigkeit gewagt und ihre Berufung zum Beruf gemacht. Im Jahr 2005 gründete sie die Akademie für Malerei in der Berliner Hardenbergstraße und leitet diese erfolgreiche Institution seither. Derzeit sind 60 Studierende eingeschrieben und Ute Wöllmann und ihr Dozententeam begleiten die Studierenden individuell und fördern deren Talente. Ein wesentlicher Aspekt des Studiums bei Ute Wöllmann ist die Bildbesprechung. Jeden Freitagabend stehen 2-4 Bildbesprechungen auf dem Programm und gemeinsam mit Ute Wöllmann stellen sich die drei Studierenden den kritischen Augen der Gruppe und stehen im Austausch miteinander. Das Ziel eines guten Künstlers muss es sein, handwerkliche Sicherheit zu erlangen und einen künstlerisch authentischen Standpunkt zu erreichen, so lautet die Philosophie Ute Wöllmanns.

Der Frage, was ein Stück bemalte Leinwand zu einem guten Bild mache, weichen selbst angesehene Kunstexperten aus. Professoren an staatlichen Akademien verweigern nicht selten die Aussage – eine Tatsache, welche die Malerin und Akademieleiterin Ute Wöllmann so nicht mehr hinnehmen will. Im Januar 2012 wird ihr Buch „Über die Kunst erfolgreich Malerei zu studieren“ beim Reimer Verlag erscheinen, ein Buch, das sicherlich polarisieren wird, dessen ist sich die Autorin und Malerin
Wöllmann sicher. „Die Lehre hat mich stark präzisiert“, sagte mir Ute Wöllmann im Vorgespräch zu dieser Ausstellung.
Folgerichtig lautet das Credo an die Erstsemester ihrer Akademie: „Alles was dir auffällt, ist relevant“, – ein Ruf, dem nicht nur die Studierenden, sondern auch wir Betrachter folgen sollten.

In den beiden Werken „Innen ist dein Fleisch melonenlicht“ führt uns erneut ein Vers von Bachmann zur Essenz der Bilder. Innen bedeutet auf die Bildgenese übersetzt Tiefe und Schichtung. Das Innen des melonenlichten Fleisches bildet eine lasierende Acrylschicht, auf die Ölfarbe, Pastellkreide und Kohle folgen. Mit den technischen Mitteln der Malerei zu experimentieren, ist ein wesentlicher Aspekt im Werk Ute Wöllmanns. Seit Jahren lotet sie mit großer Virtuosität die Grenzen der alla-prima-Malerei aus, indem sie beispielsweise dünnflüssige über fette Ölfarbe schüttete und darin die klassische Maltechnik konterkarierte. Das Verhältnis von Farbschichten und Farbflächen bildet das konstruktive Element sämtlicher Bilder dieser Ausstellung. Imaginäre Öffnungen, tief liegende Ritzungen und Verkrustungen prägen die Textur dieser Malerei, sie dominieren die Oberflächen und steuern die Lichtführung.

Nach der nunmehr jahrelang erprobten Technik, als Aquarellistin in Ölfarbe auf Leinwand zu malen, träumt Ute Wöllmann heute davon, eines Tages eine Lösung zu finden, bei der auf die Ölfarbe im Bild direkt Aquarellfarbe gemalt oder geschüttet werden kann.

In vielen Exponaten dieser Ausstellung stand am Anfang ein echtes Aquarell. Aquarelle malte Ute Wöllmann immer, um im Fluss zu bleiben. „Aquarelle begleiten mich, seit ich unterwegs bin“, erzählte sie mir und wer diese Frau kennt, weiß, dass sie viel unterwegs ist. In den vergangenen Jahren betrachtete Ute Wöllmann ihre Aquarelle stets als ihre Strukturzeichnungen, die
sie mit schnellem Pinsel aufs Papier brachte. Diese Aquarelle verschwanden im Archiv ihres Ateliers und waren ihr Bildzitatenschatz, aus dem sie schöpfen konnte, um ihre Leinwände zu malen. Doch seit kurzem behandelt sie ihre Papierarbeiten nicht mehr nur als wässrige Strukturzeichnungen, sondern erstmals auch als Bildträger. Entsprechend den farbigen Grundierungen ihrer Leinwände baut sie nun auf den Aquarellen oder auch auf Acrylbildern ihre Schichtungen auf. Beispiele hierfür finden sich viele in der Ausstellung, z. B. die Arbeit „Rotes Waldstück“ oder die beiden Motive mit dem Titel „Von oben tropft das Licht aus den Netzen“.

Dass Papier im Werk von Ute Wöllmann nachweislich an Bedeutung gewonnen hat, beweist auch ihre Suche nach besonderen Papieren, wie dem nepalesischem Blütenpapier oder eben jenen chinesischen Papierrollen, welche sie als Bildträger wählte.
Die Stärke ihrer Bilder liegt in deren Schichtentiefe. Ute Wöllmann arbeitet nicht in den illusionistischen Bildraum hinein, sondern sie zerfleischt und zerfurcht ihre Schichten und gibt Einblicke in die Geheimnisse ihrer gestisch geprägten Malerei. Nur wenn wir Betrachter die Scheu überwinden und in die Intimsphäre dieser Bilder vordringen, spüren wir deren Kraft.

„Innen ist dein Fleisch melonenlicht, | süß und genießbar ohne Ende. Innen sind deine Adern ruhig | Und ganz mit dem Gold gefüllt, das ich mit meinen Tränen wasche | und das mich einmal aufwiegen wird“ …. schrieb Ingeborg Bachmann 1956 im siebten Gedicht ihrer „Lieder auf der Flucht“. Wenn wir die Sinnlichkeit dieser Verse mit der Sinnlichkeit dieser Malerei zusammen bringen, scheint alles gesagt und es bedarf keiner Kommentare mehr, denn die Verbindung von Poesie und Farbe ist stärker als jedes erläuternde Wort.

Viele Bilder und Gedichte konzentrieren sich auf die Einzigartigkeit eines Zustandes, der nur im Augenblick existierte. Das Vanitasmotiv ist seit jeher eine treibende Kraft bei der Entstehung von Kunstwerken. Im Bild scheint die Vergänglichkeit eines Augenblicks geleugnet werden zu können. Ute Wöllmanns neue Werke, die in der Verbindung mit den Bachmann – Versen entstanden sind, scheinen dieser Vanitas – Symbolik stark verpflichtet. In Arbeiten wie „Vor meinen Augen flieht der Wald“, „Noch das Moos, in dunkleren Tinten gegoren“ oder im Plakat- und Einladungsmotiv dieser Ausstellung „Die Luft zerbricht“ werden die Momente der Vergänglichkeit augenfällig. Worte wie Flucht und Zerbrechlichkeit suggerieren im alltäglichen Leben Anzeichen von Schwäche und Angst. In den Bildern hingegen ist nichts davon zu sehen. Ute Wöllmanns Pinselspuren verlieren sich nicht im Dickicht der Farben, sondern in jeder Arbeit bahnt sich der Pinsel seinen Weg und führt das Bild zur Autonomie.

Ihre Bilder eröffnen Horizonte in einem imaginären Kosmos. In diesem Kosmos herrschen eigene Gesetze, deren höchstes Ziel es ist, die sinnlich-ideelle Schönheit der Natur erfahrbar zu machen. Viele Jahrhunderte hatte die Kunst unter dem von griechischen Philosophen Platon formulierten Vorwurf gelitten, sie sei letztlich nur eine schwache Nachahmerin der Natur, ein „Schattenbild“. Im Streit um das Verhältnis Natur und Kunst wurde Jahrhunderte lang um die Wahrheit gerungen, doch auf jede weitere These wurde eine weitere Frage formuliert und so geht es bis heute.

Was die Kunst sei, wird vielleicht niemals beantwortet werden können. Doch einig sind wir uns darin, dass die Selbstbestimmung der Kunst ein hohes Gut ist.

Etymologisch stammt der Begriff „Bildung“ vom Wort „Bild“ ab. Wir tun also gut daran, unseren inneren Speicher mit einer Vielzahl von Bildern zu füllen, denn nur so werden wir reich sein an Seherfahrung und reich an einem Formenschatz, welche letztlich die Quellen kreativen Denkens bilden. Wer kreativ denkt, ist gebildet und Bildung brauchen wir in einem ressourcenarmen Land. Diejenigen, die in der Bildungsdebatte nur auf akademisches Fachwissen setzen, laufen Gefahr, hierdurch eine Bildung weg
vom Bild, eine Bildung ohne Kreativität, zu fordern. Das könnte fatal sein, denn unser erster Kontakt mit Kunst erfolgt über das Gefühl, wenn wir Farbe, Form und Proportion emphatisch erleben. Erst in einem zweiten Schritt folgt in der Regel die rationale
Begründung.

Ingeborg Bachmann dichtet vom schwarzen König, der sich die Welt vom andren Ende ansieht und schreibt: „Und er befiehlt die große Mittagswende.| Die Luft zerbricht, das grün und blaue Glas, die Sonne kocht den Fisch im seichten Wasser, |und um die Büffelherde brennt das Gras.“ […] Die Dichterin entführt uns in eine ferne Welt, in eine Welt der Gefühle, der Farben und wir fühlen uns innerlich erhitzt durch diese wenigen Verse.

Ute Wöllmann wählt als Metapher für ihr Bild nur diesen einen Vers „Die Luft zerbricht, das grün und blaue Glas“. Sie legt ihr Hauptaugenmerk nicht auf die Hitze, sondern auf das zerbrochene grün und blaue Glas. Wie häufig in ihren Bildern taucht auch hier das Weiß auf. Die weiße Ölfarbe dehnt sich in der unteren Bildhälfte betont flächig und gestisch aus, als wolle sie die Acrylfarbe in ihrem Fluss stoppen und das Bild vor dem Auslaufen bewahren. In vielen Bildern dieser Ausstellung opponieren monochrome fleckenförmige Kraftfelder gegen gestisch angelegte Farbläufe. Doch in keinem dieser Bilder geht es um einen Wettkampf der Prioritäten, sondern jedes Exponat – und sei es noch so kleinformatig – ist eine Hommage an die Sinnlichkeit in der Malerei!

Mit einem letzten Bachmann-Vers möchte ich Ihnen nun für Ihre Aufmerksamkeit danken „Der Glaube hat nur einen Berg versetzt.| Laß stehn, was steht, geh, Gedanke!“  (aus „Geh, Gedanke“, 1957)

Andrea Dreher, Mai 2011