Angefangen hat alles mit dem Biologie-Leistungskurs in Ravensburg. Das Interesse an der Botanik der angehenden Abiturientin und späteren Kunststudentin Ute Wöllmann war geweckt worden. Im zweiten Semester ihres Kunststudiums stand Mikroskopieren auf dem Plan. Ute Wöllmann war begeistert von der Vielfalt vegetativer Formen: erste Zellenbilder entstanden.
Noch einmal kehrte sie zur Figur zurück, zeichnete, reduzierte, experimentierte und war inzwischen Meisterschülerin bei Prof. Georg Baselitz an der Hochschule der Künste in Berlin.
… mit einer Tabakstaude als Zimmerpflanze ging alles weiter. Ute Wöllmann betrachtete diese Pflanze, begann sie zu zeichnen und sich auf die Formen und Details dieser Pflanze einzulassen.
Pflanzen oder “Botanische Elemente”, so der Titel einer Wöllmann-Ausstellung in 2001, wurden nun zur großen Leidenschaft und zum Markenzeichen ihrer Malerei. Die Natur bietet mit ihren Samen, Schoten, Blättern, Blüten einen unermesslichen Motivschatz und Formenkanon. Kein Blatt gleicht dem anderen, jede Schote ist einmalig.
Wer sich auf Blumenbilder im traditionellen Sinn freut, dürfte beim Betrachten von Ute Wöllmanns Bildern enttäuscht sein. Wer sich jedoch auf die elementaren Fragen einer Malerin zum Formenspiel der Natur einlässt, wird in diesem “Herbarium” ungeahnte Bildwelten entdecken.
Zunächst nähert sich Ute Wöllmann einer präzisen vegetativen Form. In der Vorzeichnung findet die Annäherung an das Motiv statt. Dieses wird niemals zerlegt, sondern es geht der Künstlerin ausschließlich um das zeichnerische Begreifen und Abtasten der Ganzheit einer Form. Ist eine Zeichnung entwickelt, beginnt der eigentliche Prozess: die Malerei.
Wenn Ute Wöllmann von Malerei spricht, leuchten ihre Augen. Ihre Arbeiten sind in der Tat im positivsten und großartigsten Sinne Malerei mit Pinsel und Farbe. Bei der Beschäftigung mit ihren Bildern stoßen wir auf die klassischen Schlüsselbegriffe wie Struktur, Materialität und Farbe. Grundlage dieser Bilder ist zwar die klassische Ölmalerei, doch Ute Wöllmann experimentiert, sie arbeitet “alla prima”: nass in nass. Diese Übertragung der Aquarelltechnik auf die Ölmalerei ist keineswegs unproblematisch, der Bildaufbau muss sofort gelingen, Korrekturen sind nicht mehr möglich und der Trockenprozess ist langwierig. Wenn Ute Wöllmann dünne Farbe auf dicke gießt (normalerweise trifft das Gegenteil zu), konterkariert sie die klassische Maltechnik. Sie erweitert darin den traditionellen Pinselduktus um eine weitere Komponente, wodurch sich nicht nur die Oberflächenbeschaffenheit des Bildes verändert, sondern auch dessen Charakteristik geprägt wird. Manche Textur ihrer Bilder gleicht der von Intarsien. Bis zu zwanzig Schichten zählen ihre Großformate: Risse, Verkrustungen und entsprechend tief liegende Ritzungen sind die Folge.
Die Bilder sind im Kopf längst fertig, wenn Ute Wöllmann zu malen beginnt. Sie weiß um den Bildaufbau und setzt gezielt feine Ritzzeichnungen in pastose Ölfarbschichten. In der Reduktion der Form auf deren Umrisslinie bedient sich die Künstlerin einer Zeichensprache, bei der die abstrahierende Fähigkeit des Menschen gefordert ist. In der Natur kommt die Umrisslinie oder Kontur nicht vor, dennoch sind wir Menschen in der Lage ohne Schwierigkeiten Linien in die Wirklichkeit hineinzudenken. Ute Wöllmann erzeugt eine Spannung zwischen Zeichnen und Schütten, zwischen malerischer Geste und grafischer Finesse und zwischen Abstraktion und Figuration.
Während sich die Bildgrammatik in den Bildern der letzten Jahre als klare Konstante bewiesen hat, veränderte sich die Farbpalette merklich. Die Zartheit und Helligkeit der Farben früherer Jahre weicht inzwischen kräftigen Farben in den neuesten Bildern. Farbintensiv, geradezu knallig grundiert die Malerin ihre Leinwände. Die oberste Schicht der Bilder besetzt in der Regel ein heller Farbton, dessen diffuses Licht die gesamte Komposition ausleuchtet. Farbströme und Lichtakzente durchdringen sich in den Bildern, die Materialität der Farbe und das atmosphärische Licht verteilen sich über die gesamte Fläche.
Die Malerin Ute Wöllmann setzt mit den ihr zur Verfügung stehenden Zeichen – Linie, Fläche, Farbe, Raum – ihre Mitteilung und bietet sie uns Betrachtern als Inhalte an. Formal bedient sie sich konkreter Vorlagen aus der Natur. In den Bildern lässt sie ihre reduzierten Formen vor und hinter satten Farben schweben, sie entreißt die Formen dem realen Kontext und erzeugt eine fiktive Bildwelt. Ihren Bildraum baut sie konsequent in Schichten auf, ihrer bildimmanenten Logik folgend führt sie den Pinsel über die Leinwand. Bei der Betrachtung gilt es nun, dieses Geflecht aus Strukturen, Gittern, Stäben, Vertikalen und Horizontalen zu dechiffrieren, um die Charakteristik des einzelnen Bildes zu ergründen. Zeit muss dabei ein wesentlicher Faktor sein. Die in extremer Aufsicht gemalten Bilder suggerieren ein Eintauchen in die Welt der vegetativen Elemente. Als Betrachter muss es uns gelingen, den durch Irritationen im Bild erschwerten Perspektivwechsel nachzuvollziehen, um dem Geheimnis dieser Malerei auf die Spur zu kommen.
In Ute Wöllmanns Malerei gehorcht die Gesamtheit der Formen und Farben der groß angelegten Komposition. Nirgends jedoch verschlingt die Farbe die Form und nirgends erstickt die Form in der Farbe. Um die heikle Balance dieser Verteilung wissend bewahrt Ute Wöllmann stets die Kraft und die Ruhe für das Ganze und verliert sich niemals im Detail. Sie polarisiert nicht, sondern verbindet auf überzeugende Art Linie und Fläche.
Durch die extreme Vergrößerung wird ein Samen plötzlich zur Sublimation seiner selbst, er entwickelt für uns den Reiz einer Blüte oder einer Frucht und gibt letztlich sein Geheimnis nicht preis. Während die mikroskopische Vergrößerung den Forschern neues Wissen vermittelt, geschieht in den vergrößerten Motiven in Ute Wöllmanns Bildern mit uns Betrachtern genau das Gegenteil. Unser vermeintliches Wissen wird ad absurdum geführt, unsere Sinne sind irritiert. Mit großer Sensibilität entführt uns die Malerin in eine scheinbar archaische Welt. In einer hochkonzentrierten und elaborierten Formensprache bringt sie uns ein Stück vergessene oder vernachlässigte Natur zurück. In letzter Konsequenz können wir auch unsere eigene Existenz hinterfragen, ist unser aller Ursprung nicht auch ein Samen?
Andrea Dreher, August 2005