Rede zur Ausstellungseröffnung Ute Wöllmann und Birgit Ginkel „rose-coloured times“ in der Galerie ROOT, 18. August 2011.

Sehr geehrte Damen und Herren!

„rose-coloured times“! Rosarote Zeiten rufen Ute Wöllmann und Birgit Ginkel mit dieser Ausstellung aus, zu der ich Sie herzlich begrüßen darf.

Die rosaroten Zeiten – in dem Bild „Die Wiesenschwelle glänzt von meinem Blut“ von Ute Wöllmann sind dynamisch und aufwühlend. Verweisen im Sinne Ernst Blochs auf unsere Zukunft als die über die Gegenwart hinausreichende Vergangenheit.

Farbwinde und Farbwellen, die aus dem Inneren der Künstlerin, aus dem Atelier kommen, über das Bild hinwegziehen – somit über die Gegenwart des Betrachtens – hin zu einer Zukunft, in die wir unsere Betrachtungen mitnehmen.

Die rosa Farbflecke sind überwiegend mit verdünnter, aufgeschäumter Acrylfarbe gemalt. Was sie porenartig und durchlässig, mithin atmend erscheinen lässt. Haut der Farbe. Bewegt werden sie von daneben und darunter liegenden Rottönen, von Violett, Braun und Gelb. Aquarellfarben, die leicht und transparent eine höchst ynamische Kraft entfalten. Gleich dem Wind, der für unser Auge nicht sichtbar, die Dinge dennoch zu bewegen und davonzutragen vermag. Mit breitem Pinsel aufgetragen, fast darauf geschmettert weiß-bläuliche Ölfarbe. Striche wie Pfosten. Einhalt gebietend, abgrenzend in der unteren Hälfte und im oberen Bereich schon wieder wie Tupfer und Wolken weiterschwebend.

Aus einigem Abstand kristallisiert sich eine Landschaft heraus. Die Natur, ein Thema, das Ute Wöllmann seit jeher fasziniert, und das in Form abstrakter Nahaufnahmen ihre Bildwelten bestimmt. Die hier überwiegenden Rosa- und Rottöne mag man als Hoffnungsschimmer lesen. Hoffnung für eine „Natur im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit“, so der Philosoph Gernot Böhme in Anlehnung an Walter Benjamins „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“.

In einigem Kontrast zu dem, was wir gemeinhin mit Rosa verbinden, steht der Titel: „Die Wiesenschwelle glänzt von meinem Blut“. Zeilen, aus dem

Gedicht „Heimweg“ von Ingeborg Bachmann.

Im Atelier von Ute Wöllmann hängt ein weißes DIN-A-4-Blatt, vollgetippt mit Zitaten der österreichischen Schriftstellerin. Eine Art Skizze, die sie zu ihren Bildern inspiriert. Die bildhafte Sprache der Lyrikerin nimmt die Malerin als Ausgangspunkt, um sie dann sehr frei in eigene Natur-Metaphern zu verwandeln. Denn es sind vor allem die Naturverbindungen, die sie interessieren: das Akaziengrün, das Wiesenhaus, die Schattenfrüchte oder das ‚Fleisch melonenlicht’. Den dunkel irrlichternden Ton der Bachmann stimmen diese Bilder nicht an.

Ute Wöllmanns Duktus ist kraftvoll; von heller und lebhafter Energie, die im Sinne Paul Cézannes „eine Harmonie parallel zur Natur” entstehen lässt. Die Oberflächentextur – selbst wenn sie zartes Aquarell, lichte Gelb- oder Grüntöne einsetzt – scheint stets aus dem vollen Leben zu schöpfen.

Wie in der großformatigen Papierarbeit im Eingangsraum. „Das dunkle Wasser tausendäugig“, eine Zeile aus dem Bachmann-Gedicht „Ausfahrt“. Ein Bild wie ein mächtiger Ozean. Eine Papierarbeit im Format wie wir es gewöhnlich nur von Leinwänden kennen. Mit den auf- und untertauchenden Blaunuancen scheint Ute Wöllmann die üblichen Konnotationen auf den Kopf zu stellen. Blau gehört zu den kalten Farben. Doch in die Stofflichkeit des handgeschöpften Nepalpapiers sickern die Farben so tief ein, dass man es angenehm und wohlig noch schmatzen zu hören meint. Blau ist die Farbe der Ferne. Hier aber kommen die Wogen und Strudel geradewegs auf den Betrachter zu. Ferne vielleicht im Sinne des romantischen Sehnsuchtsmotivs. Eine Sehnsucht, in die man in diesem Bild gerne eintauchen mag.

Aber auch in den weniger monumentalen Arbeiten kommen die Energie und Ute Wöllmanns quirlige Lust am Experimentieren mit Farben und Materialien zum tragen. In „Komm ins Wiesenhaus“ verdichten getrocknete Blüten eines Blütenpapiers, das Ute Wöllmann auf Madagaskar entdeckt hat, die malerischen Strukturen und den lockeren Strich der Grün- und Gelbtöne. In „Was die Rosen entzünden“ entstehen aus unterschiedlichen Maltechniken eruptive Strukturen. Erinnern an das Aufwachen der Natur im Frühling, an aufspringende Samenkapseln und sich reckende Gräser.

Eine ganz andere Dynamik entfaltet „Fallt ihr Blätter. | Aus den erkalteten Ästen“ (Ingeborg Bachmann „Fall ab, Herz“). Aus dem rosa Impasto leuchtet Türkis; drängt dazwischen etwas hervor, das die Äste des Titels anstimmt. Astfragmente, die allerdings so gar nicht ‚erkaltet’ wirken. Tiefrote Aquarellstrukturen, wiederum mit Blütenpapier durchsetzt. Die zeichenhaften Lineaturen, sie können feingliedrige Äste sein, vielleicht aber auch Blutbahnen. Ausgrabungen verletzlicher Strukturen, die im flirrenden Rhythmus gleich Lebensadern pulsieren.

Als wir uns im Atelier an Stapeln von Bildern und Papieren, Kanistern mit Acrylbinder, Leinwandrollen und Schalen mit angerührten Farben vorbeischlängelten, seufzte Ute Wöllmann: „Ich bin ein richtiges Malschwein!“ Und dem kann man im besten Sinne nur zustimmen.

Lothar Romain, der ehemalige Präsident der Hochschule der Künste, der heutigen Universität der Künste – wo Ute Wöllmann ab 1983 studiert und 1989 ihr Studium als Meisterschülerin von Georg Baselitz abgeschlossen hat – Lothar Romain hat einmal geschrieben:

„Wenn man in Kunstkreisen jemanden ein „Malschwein” nennt, dann ist das eher liebevoll und bewundernd gemeint und meint einen Künstler, der sich mit Energie und Besessenheit immer wieder neu in den Kampf mit dem Material Farbe und ihrer Qualität begibt.“

Diese Energie und auch das notwendige Quäntchen an Besessenheit, stellt Ute Wöllmann gleich in mehrfacher Hinsicht unter Beweis: natürlich als Malerin, seit fast 20 Jahren auch als Dozentin und seit 2005 außerdem als Gründerin und Direktorin der Akademie für Malerei Berlin und nicht zuletzt als Mitbegründerin dieser Galerie.

Womit wir zu Birgit Ginkel kommen, die an der Akademie für Malerei studiert hat und 2010 von Ute Wöllmann zur Meisterschülerin ernannt wurde.

Wie eine Sammlung seltener Gesteinssedimente mutet die Wandarbeit im Eingangsraum an, die Papiere in den Kastenrahmen wie Felsen en miniature. Birgit Ginkel nennt ihre neue Serie: “Kostbar an Farben, | pelz- und samtbesetzt, | Juwelenschillernd – schweben sie einher”. Gedichtzeilen aus Hermann Hesses “Schmetterling im Spätsommer”. Kostbar sind diese Papiere, schon weil sie in aufwändigen Verfahren von Hand geschöpft sind. Auch die Pigmente, mit denen Birgit Ginkel den Papieren ihre Farben und Strukturen verleiht, werden zumeist von ihr selbst pulverisiert. Aus Mineralen und Edelsteinen, die sie bisweilen auf ihren Reisen findet. In Frankreich, Italien oder ihrem bevorzugten Sammelort: dem Großglockner in den Hohen Tauern der Zentralalpen.

Rosenquarz oder rosa Turmalin, Orangen- oder Feuercalcit. Was man auf Wanderungen halt in die Tasche stecken kann. Amethysten, Karneole oder Magnetite sind der Stoff, aus dem Birgit Ginkels Kunst entsteht; blaues Lapislazuli vereint sie mit erdigem Braun und leuchtendem Blattkupfer, Bleikristalle oder Apatit, Tauernglimmer oder Schwefel, Anreicherungen mit Pflanzenfarben oder Löwenzahnsamen werden zur alchemistischen Versuchsanordnung.

Aber nicht nur das gemahlene Pigment, auch der ursprüngliche Stein kommt zum Einsatz. Natürlich selbst zerkleinert. Womit die Malerin immer mal wieder an ihre Anfänge in der Bildhauerei anknüpft. Die Gesteinsbröckchen geben dem Papier eine bisweilen massiv wirkende Textur, eingearbeiteter Bergkristall oder Blattkupfer lassen es funkeln und glitzern. Auf einem Hintergrund aus 23-karätigem Gold schwebt dunkelviolett glänzend Magnetit.

Das Herstellen der Pigmente und Papiere gehört für Birgit Ginkel zum Arbeitsprozess dazu. Durch das handwerkliche Vorgehen kommt sie den inneren Schichten eines Feuercalcits oder Rhodochrosits auf die Spur. Formt aus winzigen Partikeln von Siliziumcalcit Spiralen, die in ihrem schwarzen Funkeln an Spiralgalaxien erinnern.

Die Art und Weise, wie Birgit Ginkel diese mal kraftvolle, mal zart wirkende Materialität herausarbeitet, hat zugleich auch etwas Immaterielles und verweist mithin auf eine Tradition des Mittelalters. In ihrem Buch „Das Material in der Kunst“ schreibt die Hamburger Kunsthistorikerin Monika Wagner:

„In der Mittelalterlichen Kunst agierten lichtempfindliche Materialien wie Glas, Edelsteine oder Gold als Mittler zwischen dem Diesseits und einem immateriellen Jenseits.“

Es ist diese Verbindung zwischen unserem Dasein und dem Tod, zwischen Weltlichkeit und den elysischen oder himmlischen Gefilden, die Birgit Ginkel in ihren Arbeiten auslotet und bewusst einsetzt, für die Dinge, die über das l’art pour l’art hinausgehen. Die Materialien haben für die Künstlerin immer auch eine heilende Wirkung. Nun mag die Heilkraft im Kunstkontext etwas suspekt, gar anrüchig erscheinen. Doch beruft sich Birgit Ginkel auf ein berühmtes Vorbild.

Es war Joseph Beuys, der sein Kunstschaffen als eine Art Medizin verstand, die zur Selbstheilung anregen soll. Der Arzt und Sammler Axel Hinrich Murken hat dem Thema „Beuys und die Medizin“ ein Buch gewidmet, in dem er den Künstler mit den Worten zitiert: „Ich würde sagen: was ich praktiziere, ist ohne weiteres auf die Welt der Medizin zu übertragen“.

Die heilende Wirkung ihrer – wie Birgit Ginkel augenzwinkernd sagt: „Tabletten“ unterstreicht sie mit Wortbotschaften. Geheime Mitteilungen und Wünsche, die sie den Bildern einschreibt, um sie anschließend mit Rosenquarz oder rosa Turmalin, mit Gold oder Silber zu überlagern. Wie in der Serie “Vergeistigt und gelichtet zu jenem süßen Zauberton” (aus Hermann Hesses “Höhe des Sommers”). Bisweilen sind die Wortbotschaften aber auch gänzlich in den Papierschöpfungen aufgelöst. Ihre Wirkung entfalten sie im Verborgenen.

Erlauben Sie mir abschließend einen Blick in den kleinen Raum zu werfen, in dem Birgit Ginkel einen Muschel-Himmel geschaffen hat. Ordnung und Chaos wechseln sich ab – gerade so, wie in der freien Natur. Wo Muscheln übrigens ganz ähnliche Fäden und Verzwirbelungen bilden wie in der Installation „Oft winkt er dir golden aus dem Dunkel her“ (aus Hermann Hesses „Das Glasperlenspiel“). An den Fäden erzeugen die mit Blattgold, -silber oder -kupfer ausgeschlagenen Kalkschalen einen bezaubernden Klang. Man darf den Raum betreten und sich in jeder Hinsicht vorsichtig berühren lassen.

Und! Gegen eine Spende können Sie eine Muschel einem Menschen widmen. Das kann jemand sein, der Ihnen nahe steht oder aber eine Person der Öffentlichkeit. Die größte, perlmutterne Schnecke ist allerdings bereits vergeben. Sie ist dem kürzlich verstorbenen Maler Cy Twombly gewidmet. Eine andere Muschel trägt den Namen des Sängers Rio Reiser. Sie sehe, der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt und es sind noch einige der insgesamt 900 Muscheln, Austern und Schnecken übrig.

Die Höhe der Spende sollte sich nicht zuletzt an der Größe der Muschel orientieren. Denn der Raum- und Klangkörper dient einem guten Zweck. Ein Teil des Geldes kommt einer Kinderstiftung zugute, und wenn alle Muscheln Paten gefunden haben, wird Birgit Ginkel die Installation einer Institution stiften, die mit Kindern arbeitet.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich – nun wirklich zum Ende kommend – Ute Wöllmann für ihre malerischen Naturereignisse danken und Birgit Ginkel für ihre „Denksteine“, die (frei nach Goethe) „um und um gewendet werden müssen.“

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche einen anregenden Abend und „rose-coloured times“.

Zitiert nach Heyme/Vostell: Shakespeare „Hamlet“, S. 14, Programmbuch Schauspiel Köln, Verlagshaus Wienand, Köln, 1979.

Gernot Böhme „Natürlich Natur“, S. 107, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1992.

Paul Cézanne „Über die Kunst. Gespräche mit Gasquet und Briefe“, S. 12, hrsg. von Walter Hess, Rowohlt Verlag, Hamburg, 1957.

Lothar Romain „Die Struktur der Farbe“ in: Ralph Fleck „Unterwegs“, S. 5, Galerie von Braunbehrens, München, 2001.

Monika Wagner „Das Material in der Kunst. Eine andere Geschichte der Moderne“, S. 293, Verlag C. H. Beck, München, 2001.

Axel Hinrich Murken „Beuys und die Medizin“, S. 44, Coppenrath Verlag, Münster, 1979.

Johann Wolfgang Goethe in einem Brief an Boisserée, zitiert nach: Henning Ritter „Notizhefte“, S. 38, Bloomsbury Verlag, Berlin, 2010, 8. Auflage 2011.

Michaela Nolte, August 2011